artibeau : kunst in bochum - umsonst und draußen

1. Bochumer Symposium Stadt und Bildhauerei 1979/80

1979/80
Stahl

1977 beschloss die Stadt Bochum, das Terminal von Richard Serra anzukaufen. Das Terminal war eine Provokation. Ein Sturm der Entrüstung brach los. 1978 initiierten daher der Direktor des Museums Bochum, Dr. Peter Spielmann und der Kulturdezernent, Dr. Richard Erny, ein Bildhauersymposium in Bochum, mit dem Ziel „dem Lebensraum Industriestadt durch Kunstakzente ein Stück Urbanität hinzuzugewinnen“ und „das Verständnis der Bevölkerung für die Problematik der modernen Kunst zu wecken“.

Metall war entsprechend in Entsprechung zum Industriestandort Bochum als Material vorgegeben. Material, Know-How und Arbeitsleistungen wurden von Bochumer Firmen kostenlos zur Verfügung gestellt. Die Künstler konnten aus einer vorher erarbeiteten Liste mit möglichen Standorten selbst einen Ort für ihre geplantes Werk auswählen, die Arbeiten sollten sich mit der jeweiligen Umgebung auseinandersetzen. Ansonsten hatten die Künstler freie Hand. Eine international besetzte Jury wählte neun Künstler aus Europa aus, die bereit waren, sich zu beteiligen. Die entstandenen Werke wurden von der Stadt Bochum angekauft und sollten im Rahmen einer Kunstwoche an den vorgesehenen Standorten aufgestellt werden.

Angedacht war, künftig alle drei Jahre ein weiteres Symposium zu veranstalten.

Einige Künstler erklären ihre Projekte in öffentlichen Veranstaltungen an den geplanten Standorten. Der persönliche Kontakt mit den Künstlern trägt in starkem Maße dazu bei, Ressentiments gegen die zeitgenössischeKunst abzubauen.

Das Ergebnis des Symposiums führte wiederum zu sehr kontroversen Diskussionen. Die Kluft zwischen den populären Auffassungen von Kunst und deren experimentellen Erscheinungsweisen ist zu jeder Zeit tief. Die Einsicht, dass Rost aus künstlerischer Sicht seinen eigenen Wert hat, ist schwer zu vermitteln.

Bemerkenswert ist eine Parallele, drei Jahre zuvor im knapp 80 km entfernten Münster:

Auf Empfehlung einer eigens eingesetzten Kunstkommission zum Einstieg in die Kunst der Gegenwart beschloss Münster im November 1974 den Ankauf der kinetischen Skulptur „Drei rotierende Quadrate“ von George Rickey.

Vorausgegangen war die Erkenntnis, dass bis dahin „das 20. Jahrhundert in Münster kaum stattgefunden“ hatte - jedenfalls, was die Kunst im öffentlichen Raum anbelangt. Die zum Zweck der „ästhetischen Aufholjagd“ eingesetzte Kunstkommission wollte die Münsteraner vorsichtig an modernere Kunst heranführen und hatte die Anschaffung eines fast schon klassischen Werkes eines international anerkannten Künstlers ins Auge gefasst. Die Skulptur „Drei rotierende Quadrate“ stand als Leihgabe in der Berliner Nationalgalerie. Das spielerische Element dieser Arbeit sollte den Zugang zur Moderne erleichtern.

Ein handfester Skandal war die unmittelbare Folge. Der Leiter des öffentlichen Fuhrparks fühlte sich berufen zu erklären: „Da muss man schon ziemlich auf dem falschen Bahnsteig sein, wenn man das als Kunst ansieht“. Ein Kegelverein stellte als Zeichen des Protests einen Do-it-yourself-Rickey auf. Der Protest zog so weite Kreise, das der Rat um das Ansehen der Stadt Münster fürchtete: Münster könnte angesichts der Proteste für „Provinzialismus“ und „Banausentum“ stehen. Der Rat lehnte den Ankauf ab. Es ging um moderne Kunst und 130.000 DM.

Die Skulptur wurde 1975 nicht von der Stadt Münster, sondern von der Westdeutschen Landesbank erworben und Münster geschenkt. Die drei rotierenden Quadrate wurden an der Engelenschanze als erste kinetische Plastik und erste moderne Freiplastik überhaupt in Münster aufgestellt und stehen dort noch heute.

Dem skandalträchtigen Auftakt folgte ein didaktisches Projekt: Um das Informationsdefizit in Sachen moderner Plastik aufzuarbeiten, entwickelte der Münsteraner Kunsthistoriker Klaus Bußmann die Skulptur.Projekte Münster. Erstmals 1977 veranstaltet, finden die Skulptur.Projekte seitdem alle 10 Jahre statt.

„Ein gescheiterter Kauf, ein großherziges Geschenk und ein gewitzter Kunstexperte bescherten Münster eine produktive Dauerdebatte mit internationalem Ruhm.“
(Gerhard Heinrich Kock, Westfälische Nachrichten, 2.5.2008)

Ebenfalls 1977 entschloss sich Bochum zum Kauf des „Terminal“ von Richard Serra - und löste ebenfalls einen Proteststurm aus.

1979 folgte das 1. Bochumer Symposium Stadt und Bildhauerei

Allerdings: Ein zweites Bochumer Bildhauersymposium hat es nie gegeben.

Standort:
Stadtgebiet von Bochum

Richard Serra: Terminal

Die Werke des 1. Bochumer Symposiums Stadt und Bildhauerei:
Ales Veselý: Stahlcollage Stadtpark
Giuseppe Spagnulo: Allegorie auf den Trojanischen Krieg
François Morellet: Stahlplastik Springerplatz
Cornelius Kolig: Streichelmaschine
Ivan Kozaric: Lebensbaum
Roman Signer: Atmende Säule
Abraham David Christian: Stahlplastik Am Thie
Maciej Szankowski: Faltplastik „Stahlfalter“
A. D. Trantenroth: Stahlplastik Ruhrlandhalle

Nachlesen:
Wikipedia: 1. Bochumer Bildhauersymposium
Westfälische Nachrichten: Wie Münster Rickey lieben lernte
Wikipedia: Skulptur.Projekte Münster

Literatur:
Stadt und Bildhauerei. 1. Bochumer Bildhauersymposium 1979/80, Texte: Ute Dreckmann, Peter Spielmann, Museum Bochum, 1981, o.P., ca. 130 S., durchgehend illustriert. ISBN 3-8093-0072-1
Stahlstandorte. Terminal von Richard Serra und neun Werke des 1. Bochumer Symposiums Stadt und Bildhauerei 1979/80, Broschüre, Stadt Bochum Kulturamt und Kunstmuseum Bochum, 1987.

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Chronologie 1973-2011

1973  Die letzte Zeche in Bochum wird stillgelegt (Hannover/Hannibal)

1973  Die erste Ölkrise gipfelt in Sonntagsfahrverboten.

1973  Es gibt einen Anwerbestopp für Gastarbeiter außerhalb der EG.

1974  Erste S-Bahnen fahren im Revier (S1, S3)

1976  Erste Tempo-30 Zone in Bochum auf Betreiben einer Bürgerinitiative.

1977  Terminal von Richard Serra auf der documenta 6 in Kassel. Von Bochum gekauft, 1979 aufgestellt.

1979  Ruhrstadion (Rewirpower-Stadion) eröffnet.

1979  Claus Peymann wird als Nachfolger von Peter Zadek für sieben Jahre Intendant in Bochum.

1980  Der Kemnader Stausee wird freigegeben.

1980  Der RVR veranstaltet den ersten „Tag des Radfahrens“ im Revier.

1983  Hausbesetzungen im Heusnerviertel gegen den Abriss für den Außenring.

1984  Das Album „4630 Bochum“ macht Herbert Grönemeyer (und Bochum) zum Star.

1986  Erstmals „Bochum Total“. Das Festival entwickelt sich zum größten kostenlosen Rock-Pop-Festival in Europa.

1988  Starlight Express startet in Bochum.

1989  Die U35 zwischen Herne und Bochum Hbf ist fertig. Länge: 10 km. Bauzeit: 20 Jahre. Kosten: 800 Mio. DM.

1993  Die „Unabsteigbaren“ vom Vfl Bochum müssen erstmals in die Zweite Liga. Der Vfl wird zur „Fahrstuhlmannschaft“.

1995  Das Deponie-Block-Heizkraftwerk an der Zentraldeponie Kornharpen geht ans Netz .

1999  Nach dreiundvierzig Jahren verliert die SPD in Bochum die absolute Mehrheit. Bochum wird rot-grün.

2002  RuhrCongress Bochum mit Renaissance Bochum Hotel fertiggestellt.

2002  Erste Ruhrtriennale (2002-2004) unter Gründungsintendant Gerard Mortier.

2003  Eröffnung der revitalisierten Jahrhunderthalle Bochum, ein Stück „Transformationsarchitektur“.

2007  Einweihung der neuen Synagoge.

2008  Im Januar wird die Schließung des Nokia-Werks Bochum bekannt gegeben, es wird im Mai geschlossen.

2009  Opel steht auf der Kippe. 1800 von 6000 Arbeitsstellen werden abgebaut.

2010  Das Ruhrgebiet ist Kulturhauptstadt Europas.

2011  Die Stadt Bochum reißt ihre einzige Hajek-Plastik ab.

2011  Altmetalldiebe stehlen in Duisburg und Mülheim tonnenschwere Skulpturen.

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